Montag, 18. Dezember 2017

Vorsichtiger Optimismus - Zehn Jahre nach der Osterweiterung des Schengenraumes

Dietmar Woidke. Foto: Stephan Schiller

Berlin. Die Europafreundlichkeit des neuen polnischen Regierungschefs Mateusz
Morawiecki ist größer als die seiner Vorgängerin. Diesen vorsichtigen Optimismus
verbreiteten die Vertreter zweier polnischer Einrichtungen: Jolanta Szymanska, PISM
Polnischen Institut für Internationale Beziehungen am Sozialwissenschaftlichen
Institut der Jan Kochanowski Universität Warschau und Tadeusz Jedrzejczak, Vize-
Marschall der Woiwodschaft Lubuskie/Lebuser Land. Anlass war die Veranstaltung
„Zehn Jahre nach der Osterweiterung des Schengenraums: Das Ende des
grenzlosen Europas?“. Sie fand auf Einladung der Stiftung Genshagen in der
Vertretung des Landes Brandenburg beim Bund in Berlin statt.

Auch Martin Koopmann, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Stiftung,
verbreitete gleich zu Beginn vorsichtigen Optimismus, als er darauf hinwies, dass
80 Prozent der Deutschen mehr Europa wollen und 60 % der Gesamtbevölkerung
der EU ebenfalls. Schengen sei dabei das „Integrationssymbol“, das seit 1985
vorbereitet worden sei. Das Verhältnis zu Polen bezeichnete er als „Wunder der
Normalität“. Die Menschen beiderseits der Grenze seien mit dieser Normalität groß
geworden, besonders die jungen Menschen. Schengen sei die Grundlage für ein
Zusammenwachsen der jungen Generation beiderseits der Grenze. So könnten sie
problemlos einander kennenlernen, um gemeinsam am Haus Europa zu bauen. Das
sei ein Wunder angesichts dessen, was die Deutschen den Polen im 2. Weltkrieg
angetan hätten. Schengen sei die „Grundvoraussetzung“ für die Europäische Union.
Ministerpräsident Dietmar Woidke machte sich bei der Veranstaltung ebenfalls für
einen Erhalt des Schengen-Abkommens stark. „Es gewährleistet den grenzfreien
Verkehr zwischen derzeit 26 europäischen Staaten. Offene Grenzen sind für die
Bürgerinnen und Bürger insbesondere in den Grenzregionen, für den
grenzüberschreitenden Handel, für Pendler und Touristen von höchstem Wert.
Schengen ist eine Erfolgsgeschichte der europäischen Integration“, betonte Woidke,
der auch Polen-Koordinator der Bundesregierung ist. „Brandenburg und unsere
Nachbarwojewodschaften in Polen profitieren in hohem Maße von den offenen
Grenzen. Kilometerlange Staus gehören der Vergangenheit an.
Grenzüberschreitender Handel und Tourismus entwickelten sich seitdem rasant. Auf
die grenzüberschreitende Kriminalität reagieren wir mit grenzüberschreitender
Kriminalitätsbekämpfung. Die enge Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden auf
beiden Seiten der Grenze zeigt deutliche Erfolge. Brandenburg verdankt sein
Wachstum in den vergangenen Jahren auch dem intensiven Austausch mit Polen
und dem Zuzug von Menschen aus dem Nachbarland.“
Als Key-Note- Speaker angekündigt vertat er damit aber leider die Chance, eine
Vision für Europa und/oder das polnisch-deutsche Verhältnis zu entwickeln. Vielleicht
wäre es besser gewesen, einen der nachfolgenden Diskutanten oder das
Vorstandsmitglied als Key-Note- Speaker auftreten zu lassen und Woidke als
Diskutant einzubinden?

Zu den Diskutanten, moderiert von Jan Puhl, Redakteur des Spiegel, gehörten neben
den beiden Polen Josef Janning, Direktor des Berliner Büros und Senior Fellow des
European Council on Foreign Relations, und Yves Bertoncini, Präsident der
Europäischen Bewegung Frankreich aus Paris. Jedrzejczak nannte die junge

Generation wichtig für die Zukunft Europas. Sie sei die Grundlage dafür, EU-Projekte
mit Brandenburg zu realisieren. „Ohne Schengen wäre das nicht möglich.“ Er ging
davon aus, dass die EU durch Morawiecki „eine höhrere Rangstellung bekommt“.
Seiner Meinung nach sollten auch Russland und Bulgarien eingeladen werden, dem
Schengen Abkommen beizutreten. Für ihn sei das xenophobische Verhalten von
Polen unverständlich, denn Polen würden in vielen Ländern gut aufgenommen, direkt
nach dem 2. Weltkrieg als auch jetzt. Deshalb sei es nötig mit diesen Menschen zu
diskutieren, woher ihre Angst komme. Szymanska erinnerte daran, dass 2007 als
Polen in den Schengenraum aufgenommen wurde, auch der wichtige Lissabon-
Vertrag von der EU unterzeichnet wurde. Polen habe sich sehr an die daraus
resultierende Freizügigkeit gewöhnt, besonders die junge Generation wisse gar nicht
mehr, wie es vorher war. Sie versuchte die Angst mancher Polen mit den
unterschiedlichen Lebensstandards in der EU zu erklären. Sie warf die Frage auf, ob
diese noch so lange anhalte bis Polen die gleiche Höhe erreicht habe wie jedes
westeuropäische Land. Außerdem verwies sie darauf, dass Polen entgegen der
landläufigen Meinung viele Flüchtlinge aufnehme, nämlich aus der Ukraine.
Schengen darf nicht verschwinden, Kontrollen dürfen nicht zur Alltäglichkeit werden
und forderte eine gemeinsame Migrationspolitik der EU. Bertoncini wies darauf hin,
dass Schengen ein französisch-deutsche Initiative nach dem Vorbild der BeNeLUX-
Staaten sei. Kohl und Mitterand hätten sich in Strassbourg getroffen und angesichts
der langen Schlangen an der französisch-deutschen Grenze bei Kehl [ähnlich denen
an der polnisch-deutschen Grenze vor Frankfurt/Oder] die Vision gehabt, dass es
auch anders gehen müsse. Das Schengen Abkommen beinhalte mit 130 Artikeln für
die Sicherheit mehr als für die Freizügigkeit. Deutschland beglückwünschte er dazu,
dass Merkel, im Gegensatz zu Frankreich, nicht die Schließung der Grenzen
verkündet hat, denn sie biete nicht mehr Sicherheit. Stattdessen plädierte er für
„mehr Kontrollen an den Außengrenzen“. Auch Janning betonte die Bedeutung des
Abkommens. „Würde es Schengen nicht geben, heute würde es keine Einheit der
EU-Staaten geben.“ Sie habe es damals nicht gegeben, deshalb hätten Kohl und
Mitterand diese „bilaterale Initiative“ ergriffen. Die daraus resultierenden Folgeschritte
seien schwierig geworden, weil leider nur ein Teil der Staaten, die das Schengen
Abkommen unterzeichnet hätten, bereit seien, sich an den Kosten der Sicherung der
Außengrenzen zu beteiligen. Das gelte auch für Deutschland, eigentlich hätte der
Zoll und der ehemalige Bundesgrenzschutz nicht neue Aufgaben im eigenen Land
bekommen dürfen, sondern sie hätten an die Außengrenzen der EU versetzt werden
müssen, um dort die gleiche Arbeit zu tun, wie sie es vor dem Inkrafttreten des
Schengen Abkommens an den Außengrenzen von Deutschland getan hätten. Aber
auch Janning hob die positiven Effekte hervor, z.B. die Entwicklung der ehemaligen
strukturschwachen Gebiete entlang der Binnengrenzen in Europa.
Alle Diskutanten schienen sich einig zu sein, dass es eine gute Idee sei, Menschen
die Angst vor dem Fremden zu nehmen, in dem es gelinge zu erreichen, dass die EU
den Menschen subjektiv mehr Sicherheit gebe, als es die Einzelstaaten vor
Schengen gegeben haben. Auch wenn es noch ein langer Weg dahin sein sollte,
müsse die EU darauf zu arbeiten.

Eine kleine Chance für ein noch besseres Kennenlernen der (Ess-)Kultur eines
anderen Landes als des Heimatlandes wurde bei dem Empfang am Ende der
Veranstaltung leider vertan. Denn es gab leider keinerlei Köstlichkeiten aus Polen
und Frankreich, obwohl diese beiden Länder sowohl bei der Veranstaltung als auch
bei der Arbeit der Stiftung die größte Rolle spielen. Der Grund dafür liegt in der
Geschichte der Stiftung. Sie ging nämlich aus dem 1993 gegründeten Berlin-Brandenburgischen Institut für deutsch-französische Zusammenarbeit in Europa e.V.
hervor.

Besonders im Fokus steht die Förderung und Intensivierung der Beziehungen
im Weimarer Dreieck, also der Länder Frankreich, Polen und Deutschland.
Das Schengener Abkommen war 1985 im luxemburgischen Ort Schengen zunächst
zwischen fünf EU-Ländern unterzeichnet worden. Mit dem Abkommen schafften die
Mitgliedstaaten die Grenzkontrollen ab und regelten ihre Zusammenarbeit neu. Am
21. Dezember 2007 traten Polen und sieben weitere mittelosteuropäische
EU‐Mitglieder sowie Malta dem Schengenraum bei. Derzeit gehören 26 Staaten zum
Schengenraum, darunter auch Nicht-EU- Staaten. Im Schengenraum leben mehr als
400 Millionen Menschen. Nach Angaben der EU-Kommission gibt es jedes Jahr etwa
1,25 Milliarden Reisen über die Grenzen innerhalb dieser Region.

Beitrag: Stephan Schiller

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen